Auf ein Wort

Liebe Internet-User,

„Mit den Augen eines Gotteskindes“

Ist ein Glas halb voll oder ist es halb leer? Eine Frage der Perspektive des Betrachters, der Betrachterin. Wie fällt Ihre / Eure Beurteilung mit Blick auf das vergangene Jahr 2022 aus – halb voll oder halb leer?

Ich kenne viele, die sich – und das nicht nur im Spaß – das Jahr 2019 zurückwünschen. Und der Stoß­seufzer „Schlimmer kann es ja nicht mehr werden“ kommt kaum noch jemandem über die Lippen. War doch 2021 nach dem Katastrophenjahr 2020 genauso wenig besser wie 2022 nach 2021! Da erwarten viele das neue Jahr voller Skepsis und manche auch mit vielen Sorgen. Kurz und gut: Beim Blick auf das zu Ende gehende Jahr fällt die Beurteilung nicht schwer: Halb leer. Ist das so?

Rabbuni, ich möchte sehen können.“ Das antwortet der blinde Bartimäus auf die Frage Jesu: „Was willst du, dass ich dir tue?“ Obwohl ich im herkömm­lichen Sinn nicht blind bin, möchte ich mir die Bitte des Bartimäus an Jesus zu eigen machen: Sehen können. Ich richte diese Bitte an den größten Lehrmeister des Sehens. Wie kein anderer forderte Jesus seine Zuhörerinnen und Zuhörer immer wieder auf, die Perspektive zu wechseln: Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Die Ersten werden die Letzten sein und die Letzten die Ersten. Die Seligpreisungen, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Einladung zu einem anderen Blickwinkel.

Auf die Welt nicht schauen mit den Augen eines Menschen, sondern mit den Augen eines Gotteskindes.

Ein Kind Gottes schaut anders auf die Welt und die Menschen, weil es aus einer anderen Position schaut: Aus der Geborgenheit bei Gott, aus dem Wissen, geliebt und gerettet zu sein. Ob ich ein opti­mistischer oder ein pessimistischer Mensch bin – ob ich also das halb volle oder das halb leere Glas sehe – hängt wohl mit frühen Kindheitserfahrungen von Gebor­gen­heit und Frustration zusam­men.

Geborgen bei Gott kann ich optimistisch auf 2022 zurück- und auf 2023 vorausblicken. Auch dann, wenn ich als Mensch eher zu Pessimismus neige. Denn Pessimismus und Optimismus sind keine starren Zustände, sondern Prozesse. Ich kann die Perspektive wechseln. Ich kann es zumindest mal versuchen.

Das wäre doch ein schöner Vorsatz für 2023. Zu versuchen, das halb volle Glas zu sehen. Im berechtigten und uns zugesagten Vertrauen, dass jede und jeder von uns von Gott geliebt ist und gehalten wird.

„Du bist ein Gott, der mich sieht“ – so lautet die Jahreslosung 2023. Mit diesem Wissen optimistisch auf Gott und die Welt schauen, das wünsche ich Ihnen und Euch.

Ihre derzeitige Pastorin

Anette Sieling