Auf ein Wort

Liebe Internet-User,

Für Anfänger und Fortgeschrittene …

Wer sonntags in die Kirche geht, der kommt am Vaterunser nicht vorbei. Kurz vor Schluss wird es Woche für Woche gebetet. Das Vaterunser gehört zu den Dingen in unserem Gottesdienst, die vielen fremd und unverständlich geworden sind. Mit der Masse gemeinsam zu murmeln; Worte, die nicht die eigenen sind, das ist nicht jedermanns Sache. Doch so sehr diese alten und zuweilen als steif empfundenen Rituale dafür sorgen, dass mancher den Gottes­dienst als eigenartig, fremd, vielleicht sogar bedrückend empfindet, so sehr können wir nicht auf sie verzichten: Gerade das nicht Alltägliche ist es doch, was den Gottesdienst zu etwas Besonderem macht. Das, was anders ist und anders klingt und anders riecht, als das eigene Wohnzimmer. Ein Ort, der nicht steif ist, sondern feierlich. Und manchmal geht es auch ernst zu, das ist wahr, aber was wäre die Kirche für ein Ort, wenn in ihr all das, was uns bewegt und be­schäftigt und bedrückt dort nicht ernst genug genommen würde?

Ich finde einen gewissen Ernst bei der Sache durchaus nicht be­drückend, im Gegenteil. Wie gesagt, das Vater­unser ge­hört zum ernsten Reper­toire des Gottes­dienstes. Und es ist kein Wunder, dass es außerhalb des Gottes­dienstes meist beim abso­luten Ernstfall zum Einsatz kommt: In Ge­fahr und Ver­zweiflung, am Sterbebett und in jeder anderen Situation, in der Hilflosigkeit regiert. In dem Film Titanic ist das Letzte, was der Bordkapelle einfällt, nach­dem sie die Instrumente zusammen­ge­packt hat, das gemeinsam ge­sprochene Vater­unser.

Jesus hat seinen Jüngern dieses Gebet als Sprachhilfe des Glau­bens empfohlen. Wer nicht weiß, wie er beten soll, wem es die Sprache verschlagen hat, der kann immer noch das Vaterunser beten. Die Bitte um das tägliche Brot und um die Vergebung von Schuld, das ist schon eine ganze Menge.

Mich beeindruckt immer wieder ganz besonders, wenn Bewohner­innen und Bewohner eines Alten­heims, die geistig verwirrt sind, bei einem Gottesdienst laut und deut­lich in das gemeinsam ge­sprochene Vaterunser ein­stim­men. Eigene Gebete können sie nicht mehr formulieren.Aber in dem gelernten Vaterunser fühlen sie sich gut aufgehoben.

Es ist gut, dass es das Vaterunser gibt. Worte, die wir uns ausleihen können, um mit Gott ins Gespräch zu kommen.

Ihre/ Eure Pastorin Anette Sieling